„Verantwortung vor Gott und den Menschen ...“
Über die provokative Präambel des Grundgesetzes, Tagesseminar
Die „Stunde Null“. Nach dem Grauen der nationalsozialistischen Menschenverachtung stand man vor den Trümmern des demokratischen Rechtsstaates. Nach den Vorbildern der Paulskirchenverfassung von 1849 und der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 sollte eine Verfassung erarbeitet werden, die alle Staatsgewalt an mit Ewigkeitsgarantie versehene Grundrechte eines jeden Menschen bindet.
Maßgeblich sind bis heute die Präambel und Artikel 1. Schnell war 1948 klar, dass der erste Artikel die letzte Grundlage des Zusammenlebens klar formulieren sollte: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Mit Würde bezeichnete einst der Philosoph Immanuel Kant das, was keinen „Preis und kein Äquivalent verstattet“, was sich der Logik des Kapitalismus von Kaufen und Nutzen und Verwerten entzieht, Personwürde eben. Auf dem Hintergrund der Gräuel von Auschwitz und Dachau war ein Konsens in dieser Frage nicht schwer zu erringen, und auch heute gilt die Würde des Menschen praktisch unangefochten als grundlegendes Prinzip, an dem sich politisches Handeln und Gesetzgebung zu messen haben.
Umstrittener war hingegen die berühmte Präambel, die sich mit ihrem Gottesbezug bewusst von den beiden älteren deutschen Verfassungen abhob: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, ...“. Kritiker fragten an: Wird hier nicht direkt zu Beginn der Verfassung die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates, deren Idee sich seit den blutigen Religionskriegen des 16. und 17. Jhd. Schritt für Schritt entwickelt hatte, in Frage gestellt? Oder vielmehr noch: Wird die Frage nicht zugunsten des Gottesglaubens entschieden? Bis heute hat sich an der Präambel – trotz der augenscheinlichen Provokation – nichts geändert. Weshalb wollten die Väter und Mütter des Grundgesetzes nicht auf Gott in der Verfassung verzichten, und welche Bedeutung kann dem Gottesbezug in der säkularen Moderne überhaupt noch zukommen?
Referent
Prof. Dr. Peter Schallenberg (Cp) · E-Mail
Theologische Fakultät der Universität Paderborn, Lehrstuhl für Moraltheologie